Gedankenkarussell stoppen – Über Sinn und Unsinn

 

Wer kennt es nicht – der Tag ist eigentlich vorbei, man liegt im Bett, doch der Kopf arbeitet weiter. Man hat endlich einen freien Tag und will sich entspannen, aber die Gedanken kreisen, springen von einem Thema zum nächsten, die innere Ruhe scheint in weiter Ferne. Dieses Phänomen wird oft als „Gedankenkarussell“ bezeichnet – ein innerer Monolog, der sich ständig wiederholt und uns erschöpft.

Die gute Nachricht: Sie können etwas dagegen tun. In diesem Beitrag erfahren Sie, was hinter den Gedankenschleifen steckt, welche Strategien im Umgang damit helfen können und warum das „Stoppen“ vielleicht gar nicht so sinnvoll ist.

 

Was ist ein Gedankenkarussell überhaupt?

Dieses Phänomen beschreibt anhaltende, sich aufdrängende und widerkehrende Gedankenschleifen. Häufig haben Betroffene dGedankenkarussellen Eindruck, das Gedankenkarusell nicht stoppen oder nicht kontrollieren zu können. Besonders häufig tritt es in Momenten auf, in denen unser Geist eigentlich zur Ruhe kommen sollte – zum Beispiel abends im Bett oder wenn wir uns gerade entspannen wollten. Das Karussell dreht sich unaufhörlich und die immer gleichen Dinge rauschen an einem vorbei. Man möchte abspringen, aber das scheint schwer. Viele Menschen fühlen in solchen Situationen Überforderung, innere Unruhe und häufig auch Erschöpfung. Die Gedankenschleifen können auch Schuldgefühle, Selbstzweifel oder Ängste verstärken. Dies kann wiederum einhergehen mit körperlicher Anspannung in Kopf und Nacken, einem Druckgefühl im Kopf oder auch Schlafproblemen. Ein sehr unangenehmer Zustand, der eigentlich gar nicht mehr viel mit einer lustigen Fahrt auf dem Karussell zutun hat.

In der Psychologie unterscheiden wir zwei Arten dieser Gedankenkarusselle: Das Grübeln und das Sich-Sorgen.
Grübel-Gedanken beginnen häufig mit dem Wörtchen „Warum..?“, dabei richtet sich das Grübeln vor allem auf Vergangenes („Warum habe ich das gesagt?“, „Warum habe ich bloß den Job gekündigt?“). Vermeintliches Ziel ist es, die Bedeutung von Situationen oder Ereignissen zu analysieren und zu erfassen.
Dagegen beginnen Sorgen-Gedanken häufig mit „Was, wenn…?“ und richten sich eher auf die Zukunft („Was, wenn ich etwas falsch mache?“, „Was, wenn niemand mich mag?“). Hier zielt das Sich-Sorgen eher darauf ab, potentielle Gefahren in der Zukunft zu umgehen.

 

Aber ist es nicht sinnvoll über Probleme nachzudenken?

Kurzgesagt: „Der Ton macht die Musik“.

Vielleicht haben Sie auch schon einmal erlebt, dass sie mit dem Grübeln eigentlich aufhören wollten? Oder Sie haben bemerkt, dass es Ihnen gar nicht gut tut und versucht es „abzustellen“ oder zu „unterdrücken“? Manchmal ist es aber genau andersherum, man brütet über einem Problem und hat den Eindruck, der Lösung näher zu kommen, indem man immer wieder bestimmte Situationen („Die Kündigung der Chefin“ oder „Das anstehende Konfliktgespräch mit einem Mitarbeitenden“) geistig durchgeht.

Und genau in solchen Momenten ist es wichtig, Grübeln und Sich-Sorgen-machen von sinnvollem, produktivem und lösungsorientiertem Denken zu unterscheiden. Grübeln bringt uns per Definition nicht weiter und kann langfristig zu Anspannung, Schlafproblemen und schlechter Stimmung führen. Anders gesagt: Grübeln ist wie Kreisverkehr fahren, Runde um Runde. Man ist gut beschäftigt, aber man kommt nicht voran.

Ob es sich um einen produktiven Denkprozess oder ums Gedankenkarussell handelt, können Sie mit folgender Methode herausfinden:

    1. Stellen Sie den Wecker auf 2-3 Minuten.
    2. Grübeln sie, was das Zeug hält, bis der Wecker klingelt.
    3. Beantworten Sie danach folgende Fragen:
      – Bin ich der Lösung in diesen 3 Minuten nähergekommen?
      – Habe ich eine neue Perspektive auf die Dinge?
      – Fühle ich mich besser als vorher?

Sollten Sie diese Fragen mit Ja beantworten können, ist es vermutlich ein produktiver Denkprozess – weiter so.
Sollten Sie diese Fragen mit Nein beantworten, könnte es sich um ein Gedankenkarussell handeln.

 

Warum fällt es manchmal schwer, das Gedankenkarussell zu stoppen?

Unser Gehirn ist sozusagen eine „Problemlöse-Maschine“. Sobald ein Thema emotional aufgeladen ist oder Verwirrung und Unsicherheit stiftet, versucht der Verstand, eine Lösung zu finden – selbst dann, wenn es in dem Moment gar nichts zu „lösen“ gibt. So entstehen gedankliche Endlosschleifen.

Grübeln kann zudem zur Gewohnheit werden. Je häufiger wir versuchen, durch Nachdenken Sicherheit zu gewinnen, desto automatischer schlägt unser Kopf diesen Pfad ein – selbst dann, wenn es uns eigentlich nicht guttut.Gedankenkarussell stoppen

Oft liegt dem Grübeln ein Gefühl zugrunde, mit dem wir gerade schwer umgehen können: Vielleicht ist es Angst, Schuld, Traurigkeit oder Ohnmacht und Hilflosigkeit. In solchen Momenten schaltet sich das Gedankenkarussell ein und vermittelt ein trügerisches Gefühl von Kontrolle und Sicherheit.

Ein Beispiel: Wird eine Beziehung überraschend beendet, beginnen viele Menschen, gedanklich jede Szene zu analysieren. Gedanken, wie „Warum ist das passiert?“, „Habe ich etwas übersehen?“ oder „Ich hätte es doch wissen müssen.“ treten immer wieder auf. Diese Gedanken scheinen sinnvoll – doch in Wahrheit halten sie uns in einer Schleife fest, ohne etwas zu verändern. Die Trennung lässt sich dadurch nicht rückgängig machen. Und oft liegen die Gründe für das Handeln der anderen Person außerhalb unseres Einflusses.

Grübeln ist dann ein Versuch des Gehirns, der eigenen Hilflosigkeit und Ohnmacht zu entkommen. Aber gut tut uns dieser gut gemeinte Lösungsansatz unseres Verstandes leider nicht.

 

Gedankenkarussell stoppen

Häufig findet sich die Formulierung „Gedankenkarussell stoppen“ wider und der Wunsch ist sehr nachvollziehbar. Jede:r der oder die jemals davon betroffen war hat sich sicher gewünscht, das ganze zu stoppen. Wie einen lästigen Sender auf dem Radio. Was waren Ihre Erfahrungen mit diesem Versuch? Ich für meinen Teil habe bei Klient:innen sowie mir selbst die Erfahrung gemacht, dass „Stoppen“ sich als problematisch erweist.
Und das hat einen Grund:
Gedanken kommen, ohne dass wir dies verhindern können. Unser Verstand produziert sie einfach, wie das Klima Wolken am Himmel erzeugt. Und die Formulierung „Gedankenkarussell stoppen“ vermittelt die Vorstellung, man könne, wenn man es „richtig“ mache, die Gedanken einfach „ausstellen“. Wenn das dann nicht gelingt (weil es nicht möglich ist) dann entsteht oft noch mehr Leid, da Annahmen entstehen könnten, wie „ich kann nichts dagegen tun, ich bin dem ganzen hilflos ausgeliefert, ich krieg das einfach nicht hin“.
Ob Gedanken kommen und die Tatsache, dass sie gerade da sind, können wir nicht beeinflussen, aber was wir beeinflussen können, ist, wie wir damit umgehen. Sich vor’s Karussell zu werfen und sich mit aller Kraft gegen die Figuren zu stämmen ist enorm anstrengend und gestoppt wird es dadurch nicht.

Aber, es gibt noch eine andere Möglichkeit: dabei geht es darum, das Karussell etwas aus der Ferne zu betrachten. Nicht mehr mitten im Getümmel zu stehen sondern mit Abstand Gedanken und Gefühle wahrzunehmen und zu beobachten.

 

3 Möglichkeiten zum Umgang mit Gedankenschleifen:

Das Wichtigste ist überhaupt erst mal, das Gedankenkarussell zu bemerken. Folgende Fragen können Ihnen damit helfen:

  • In welchen Situationen grüble ich vor allem? (immer Abends im Bett, vor wichtigen Entscheidungen, nach Fehlern oder Missgeschicken, …)
  • Um welche Themen kreise ich hauptsächlich? (Vergangenes Verhalten, Zukünftige Situationen, Verpasste Chancen…)
  • Welche typischen Auslöser gibt es? (Konflikte, Überforderung, Unklare Situationen, …)

Sich dessen bewusst zu werden ist der erste und ein wichtiger Schritt im Umgang mit Gedankenkarussellen.

Im Folgenden finden Sie drei Methoden aus der psychologischen Forschung (zur kognitiven Verhaltenstherapie und aus der Achtsamkeitspraxis) zum Umgang mit Gedankenkarussellen:

 

Wichtiger Hinweis vorweg:

Wenn Sie häufiger zu Grübeln oder Sorgen-Schleifen neigen, kann es sein, dass diese Übungen nicht sofort wirken. Wie beim Ausdauersport oder beim Zähneputzen ist regelmäßiges Üben viel wichtiger als einmalig extreme Anstrengungen. Das bedeutet, damit diese Strategien ihre volle Wirkung entfalten, benötigen sie Übung und Wiederholung. Und nicht jede Strategie funktioniert für Jede:n gleich gut. Probieren Sie es aus, und am besten über ein paar Tage. Es lohnt sich!

 

1. Gedanken aufschreiben – Den Kopf leeren

Grübeln ist oft diffus und abstrakt. Diese Übung kann helfen, den Kopf etwas „leichter zu machen“ und die Gedanken greifbar.

Stellen Sie sich einen Wecker für 15-20 Minuten. Schreiben Sie in dieser Zeit Ihre Gedanken auf – ungefiltert. Als würden Sie einfach Ihre inneren Selbstgespräche dokumentieren wollen. Am besten mit Stift und Papier – nicht am Computer. Schreiben Sie einfach alles raus aus dem Kopf, egal wie „komisch, unangenehm oder peinlich“ es klingen mag. Wenn gerade nichts da ist, schreiben Sie: „Da ist nichts. Da ist nichts. Ich habe Leere im Kopf. Ich weiß nicht was ich schreiben soll.“ über kurz oder lang wird irgendetwas aufkommen, z.B. „Warum hat sie eigentlich so reagiert, hab ich was falsch gemacht? War mein Ton daneben? Vermutlich hab ich sie verärgert. Ich mach immer alles falsch. Scheiße. Ich bin ’ne furchtbare Kollegin“ oder so etwas „Was, wenn das morgen nichts wird? Ich bin eh schon total nervös und dann bekomm ich ’n Blackout. Die denken schon alle, ich bin unfähig. Ich sollte absagen, aber das wirkt auch komisch. Ich kann nicht mal schlafen mit diesen Gedanken, und dann bin ich morgen auch noch übermüdet. Das kann ja nichts werden.“

Schreiben Sie einfach auf, was gerade da ist, bis die Zeit um ist.
Spüren Sie einmal: Wie fühlen Sie sich jetzt? Hat sich etwas verändert?

 

2. Sich von Gedanken distanzieren – In die Vogelperspektive gehen

Diese Übung kommt aus der Achtsamkeitspraxis und kann helfen, sich von Gedanken etwas zu distanzieren, sie aus der Ferne zu betrachten, wie ein Vogel von oben.  

Stellen Sie sich vor, Sie sitzen am Rand einer Autobahn – leicht erhöht, etwas abseits.
Auf dieser Autobahn fahren Autos in unterschiedlichem Tempo vorbei. Manche sind klein, andere groß. Manche sind laut, manche leise. Jedes Auto steht für einen Ihrer Gedanken.
Beobachten Sie, wie die Autos –Ihre Gedanken – kommen … und wieder gehen.
Einige dieser Gedanken mögen angenehm sein. Andere vielleicht schwer oder unangenehm. Vielleicht fährt gerade ein Auto vorbei, auf dem steht: „Ich schaff das nicht.“ Oder: „Was ist, wenn ich versage?“
Spüren Sie den Impuls, aufzuspringen und in dieses Auto einzusteigen – sich mit dem Gedanken zu beschäftigen, sich von ihm fortfahren zu lassen?
Dann nehmen Sie diesen Impuls freundlich wahr und versuchen Sie am Rand sitzen zu bleiben. Sie sehen den Gedanken kommen – und lassen ihn weiterfahren. Wenn Sie ein Gedanke fortträgt, kommen Sie wieder zu ihrem vorherigen Beobachtungspunkt zurück.
Sie können lernen, Ihre Gedanken zu beobachten, ohne in sie einzusteigen.
Atmen Sie ruhig ein und aus. Spüren Sie den Boden unter sich, die Ruhe Ihres Beobachtungspunktes – während der Verkehr weiterzieht.

Wenn Sie bereit sind, öffnen Sie langsam wieder die Augen.

Falls Autos und Straßen kein angenehmes Bild für Sie darstellt, eignet sich auch jedes andere Bild, z.B. Wellen am Meer oder Blätter auf einem Fluss.

 

3. Sinnesfokus – Zurück ins Hier und Jetzt

Diese Übung kann dabei helfen, sich vom Gedankenkarussell zu distanzieren und im Hier und Jetzt anzukommen, indem Sie sich auf den aktuellen Moment konzentrieren.

Die Übung wird noch wirkungsvoller, wenn sie dabei einen Ortswechsel (Raus in die Natur, Raumwechsel) oder auch nur einen Wechsel der Körperposition (Im Bett liegend, auf dem Stuhl sitzend) vornehmen. Sich also in eine „neue“ Situation bringen. Lenken Sie Ihre Aufmerksamkeit dann ganz bewusst auf den aktuellen Moment.
Richten Sie ihre Aufmerksamkeit z.B. auf folgende Eindrücke:

  • Was sehe ich gerade (z. B. Farben, Formen)?
  • Was höre ich (z.B. Geräusche, Stille)?
  • Was spüre ich (z.B. Boden, Kleidung, Temperatur, Bettdecke)?
  • Was rieche ich (z.B. Waldluft, Kaffeegeruch)?
  • Wo spüre ich meine Atmung (Nasenflügel, Bauchdecke, Brustkorb)?

Spüren Sie nach, wie fühlen Sie sich jetzt?

 

Wann ist professionelle Unterstützung sinnvoll?

Das Gedankenkarussell selbst ist kein Zeichen von „Verrücktheit“ oder „Krankheit“– es ist eine ganz normale Reaktion auf Stress, Überforderung oder Unsicherheit. Entscheidend ist das Ausmaß, vor Allem Dauer, Intensität und Kontrollierbarkeit.
Wenn das Gedankenkarussell Sie immer öfter am Schlafen, Entscheiden oder Entspannen hindert, kann psychologische Beratung eine sinnvolle Unterstützung sein, um verschiedene Werkzeuge im Umgang mit Grübeln und Sorgenschleifen zu erlernen, unterliegende Mechanismen zu entdecken und zu verstehen und langfristig die psychische Gesundheit und das eigene Wohlbefinden wieder zu verbessern.
Wenn Sie bemerken, dass Sie den Großteil der Wachzeit mit Grübeln oder Sich-Sorgen verbringen, Ihre Freizeitaktivitäten nicht mehr oder deutlich seltender ausführen können, Sie Ihre Freund:innen nicht mehr treffen oder Sie in Ihrem Beruf durch die Gedankenkarusselle Einschränkungen erleben, dann kann dies auch ein Symptom einer psychischen Erkrankung (z.B. Depression, Angststörung) sein. Hier ist eine Psychotherapie hilfreich.

 

Fazit:

Gedankenkarusselle sind lästig und führen oft zu hohem Leidensdruck. Aber Sie sind ihren Gedanken nicht hilflos ausgeliefert. Manchmal kann es schon helfen, die Grübelschleifen als nett gemeinten, aber leider schlecht umgesetzten Lösungsversuch unseres Gehirns zu bewerten. Und mit sich selbst etwas mitfühlend umzugehen. Offensichtlich ist das Gedankenkarussell ein Hinweis darauf, dass es Ihnen gerade nicht so gut geht und vielleicht fühlen Sie sich überfordert oder verunsichert – und das ist menschlich.

Mit Achtsamkeit, sinnvollen Strategien und manchmal einem Blick von außen lässt sich der Ausstieg schaffen. Denn: Gedanken dürfen kommen – aber sie müssen nicht bleiben.